Die Geschichten, Gedanken, Momente und Bilder, mit denen die Angehörigen versuchen, sich den willentlichen Tod eines geliebten Menschen zu erklären, sind immer vielschichtig. Meistens begannen die Probleme bereits vor längerer Zeit. Dem standen oft engagierte Bemühungen von allen Seiten entgegen, das Leben dennoch zu bewältigen. Doch irgendwann, plötzlich oder langsam, wird die Last zu schwer. Leise oder laut schleichen sich Hinweise darauf, dass die Mutter, der Partner, das Kind, die Freundin, der Nachbar sich für immer verabschieden will, ins Leben. Aber wie wertet man welche Aussage? Welche Nachricht spiegelt eine momentane Stimmung, welcher Nebensatz ist absolut ernstgemeint? Noch einmal werden alle Etappen bis zum Suizid gedanklich abgeschritten: Wie verlief die Biografie? Was waren einschneidende Erlebnisse oder schon lange bekannte Probleme? Wann veränderte sich was? Wann sagte er oder sie was? Zu wem bestand Kontakt? Auf welchen Hinweis hätte man unbedingt reagieren müssen? Und schon beginnen die quälenden Fragen an sich selbst: Hätte ich bemerken müssen? Hätte ich helfen können? Warum habe ich nicht reagiert, als …? Warum habe ich nicht noch versucht, ….?
Als Trauerrednerin stehe ich diesem Berg an innerem Schmerz und gedanklichem Chaos gegenüber – und muss (oft unter Zeitdruck) die Worte finden, die einerseits die oder den Verstorbenen in wertschätzender Weise abbilden und den engen Angehörigen, aber auch den oft ebenso sprachlosen weiteren Trauernden die Liebe und Aufmerksamkeit schenken, die sie in diesem Moment mehr als nötig brauchen. Und schließlich: Die Trauerfeier, so sie denn mit Trauergästen gemeinsam stattfindet, wäre eine sehr sinnvolle Plattform, über das Tabuthema Suizid offen zu sprechen.
Wie kann es gelingen, der oder dem Verstorbenen, den engen Angehörigen, den Trauernden und dem Thema Suizid gerecht zu werden? Meiner Erfahrung nach sind aufmerksames Zuhören, sorgsames Einfühlen, gegenseitiges Vertrauen und wertschätzende Offenheit sehr gute Bausteine für eine Trauerrede, die in dem zu diesem Trauerfall passendem Maß an Offenheit den geliebten Menschen, dessen Lebensweg und Wesen beschreibt. Dazu gehören zum Glück nicht nur Fragen, Probleme, Abgründe und Suizid, sondern auch freudvolle Momente und Geschichten!